Auf dem Pilgerweg des Franziskus I
Region Emilia-Romagna / Region Toskana
1: Emilia-Romagna & Toskana
2: Umbrien
Die Idee, den Franziskusweg zu gehen, hatte sich erst 4 Tage vor Anreise entwickelt. Eigentlich war der Camino Mozarabe geplant, doch die 5 Wochen, die man dafür benötigen würde, hatten sich auf knapp 14 Tage reduziert. Ausser dem Camino Primitivo blieb in Spanien nichts passendes für eine zweiwöchige Wanderung.
Vom Namen her könnte man ihn verwechseln mit dem Via Francigena, auf deutsch Frankenweg. Die Anfahrt ist auch kurzfristig planbar dank Fernbus nach Bologna, mit dem Zug kommt man weiter nach Forli. Dort hatte ich noch Zeit, den 77 Meter hohen Turm zu bewundern.
Von Forli fährt ein Bus nach Castrocaro Terme. Von dort gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel nach Dovadola. Zu Fuß oder mit dem Taxi kommt bis zum Startpunkt des Camino di Assisi.
Nicht alle italienischen Fahrzeuge sind auf dem neusten Stand der Technik. Andererseits, dieses Modell könnte bald wieder in Mode kommen, da man sich zum Thema Umweltplakette nicht den Kopf zerbrechen muss.
Dovadola ist nicht gerade eine Großstadt. Es gibt ein Restaurant, dafür aber zwei Kirchen. Die Burg, wenn sie fertig renoviert ist, wird sicher das Highlight des Ortes und ein Blickfang werden.
In diesem Ort sollte es eigentlich eine Unterkunft für Pilger geben. Nach längerer Suche habe ich noch keinen einzigen Hinweis gefunden. Als ich mich schon damit abgefunden habe, mir einen Platz im Gebüsch zu suchen, ruft mir eine Dame aus einem Fenster zu: „Pellegrino? Refugio?“ Gut, dass man Italiener auch verstehen kann, wenn man ihrer Sprache nicht mächtig ist. So finde ich wenig später die Pilgerunterkunft. Ein paar Wegweiser oder zumindest ein Schild am Gebäude direkt wären sinnvoll. Dann wüsste man wenigstens, wenn man davor steht, dass man nicht weitersuchen muß.
Dieses Refugio scheint mit der Kirche verbunden zu sein. Die Registrierung wird von einem älteren Priester vorgenommen, hier bekomme ich auch den Pilgerausweis.
Sein Assistent führt mich in den Schlafsaal und weist auf die wichtigste Regel hin, verweist dabei auf den Zettel, der an der Tür und im Raum selbst ausgehängt ist: Nicht nackt herumlaufen.
Das einzige Restaurant in Ort bietet Pommes Frites an. Dies ist das einzige von vier Gerichten, das ich ohne Italienischkenntnisse verstehe. Hier etwas Passendes bestellen, das wäre für mich jetzt zu anstrengend. Ich beschließe nach kurzer Überlegung, auf meine Reserve an Erdnüssen zurückzugreifen.
Die erste Etappe beginnt mit einem längeren Aufstieg. Abseits des Cammino di Assisi befindet sich nach dem Plan, den mir der Priester am Vortag ausgehändigt hat, die Einsiedelei (it. Eremo) des heiligen Antonius. Die werde ich besichtigen.
Ausser mir ist nur eine Pilgerin aus Italien unterwegs, die morgens früher gestartet ist und der ich hier begegne. Neben der Kirche gibt es noch eine Grotte etwas unterhalb. Dies hört sich nach etwas Spannendem an, aber doch zuerst besichtige ich die Einsiedlerkirche. Für die Wandmalereien und die bunten Glasfenster hat sich der Umweg gelohnt. Ich hatte gehofft, hier einen Stempel für den Pilgerpass zu bekommen und habe sogar Glück. Von der Verwalterin des Anwesens erfahre ich auch, dass dies das Ziel des Cammino di Antonio ist. Ein weiterer Pilgerweg, der in Padua beginnt.
Die Grotte, in dem dieser Antonius vielleicht gelebt oder in der er Wunder bewirkt hatte, ist gar keine Grotte, nach meiner Vorstellung. Es ist eher eine kleine Kapelle, wie man sie häufig am Wegrand sieht.
Ein Bauernhof auf dem Weg. Eine der seltenen Zeichen von Zivilisation auf der Etappe.
Sehr häufig sind die Gebäude in diesem oder einem ähnlichem Zustand. Falls hier eines Tages Außerirdische landen sollen, werden sie feststellen, dass es auf der Erde einst Zivilisation gegeben haben muss.
Auf dem Schluss der Etappe durchquert man ein Naturschutzgebiet mit wild lebenden Pferden, ein offizielles Renaturierungsprogramm.
Eine Abzweigung muss ich übersehen haben, stelle ich fest, als ich den Naturpark verlasse und bei einer einsamen Kirche herauskomme. Dort finde ich einen Priester, der mir den Weg über die Landstrasse nach Campannina empfiehlt. Aber mit Sicherheit nicht die kürzeste Variante - mindestens 10 Kilometer mehr nach meiner Schätzung, da ich 4 Stunden später als geplant einen einsamen Bauernhof erreiche, in dem man als Pilger übernachten kann.
Morgens beim Frühstück fällt mir eine der Katzen auf, die mich an eine Internetseite erinnert: catsthatlooklikehitler.com - nur die Frisur passt nicht ganz.
Auf dem Plan zu dieser Etappe wird darauf hingewiesen, dass man auf keinen Fall den Vulkan auf der linken Seite verpassen sollte. Beim Blick über die Landschaft schaue ich immer wieder genau hin, ob das Gebirge rund um das Tal Ähnlichkeit mit einem Vulkankegel besitzt. Könnte sein, könnte aber auch nicht - ein Geologe würde das sicher erkennen. Als ich an einem verlassenen Gebäude vorbeikomme, fällt mir ein grüner Pfeil auf, der einen an dem Haus vorbeiführt. Statt einem Blick auf eine Vulkanlandschaft fällt mir dahinter ein kleines Feuer auf, das den Eindruck erweckt, als wäre dies ein verlassener Grillplatz und jemand hätte vergessen, das Lagerfeuer zu löschen. Es ist beim genauen Hinschauen jedoch erkennbar ein Gasfeuer und es scheint aus dem Boden zu entspringen. Mysteriös. Ein Gag für Touristen? Es ist jedoch ein natürliches Phänomen, erfahre ich später.
Nach dem Abstieg ins Tal erreiche ich auf der Hälfte des Weges die Stadt Portico - es ist eine mittelalterliche Kleinsiedlung, die sich über Jahrhunderte kaum verändert zu haben scheint.
Am Ende des Ortes führt der Weg über eine alte Brücke und danach einen Pfad aufwärts, der es in sich hat. Der Anstieg durch den Wald fordert einiges an Kräften und nach einem asphaltiertem Weg folgt ein noch steilerer Geröllpfad. Nur mit vielen Pausen schaffe ich die 500 Höhenmeter bergauf. Es folgt ein grüner Pfad, den ich mit zahlreichen Schmetterlingen teile und werde ein wenig für die Strapazen belohnt. Der anschließende Teil, der 400 Meter wieder bergab führt, ist fast entspannend.
Die Unterkunft für Pilger am Ende der Etappe ist eine Kombination von Pizza-Restaurant und Hotel.
Auf dieser Etappe wandere ich das erste Mal mit anderen Pilgern - einer Italienerin und einem Italiener. Beim Aufstieg parallel zu einem Flussbett erreichen wir eine Brücke. Diese Stelle soll regional berühmt sein aufgrund des beeindruckenden Wasserfalls. Meine Mitpilger erkundigen sich dort bei einem Camper - aufgrund fehlender Sprachkenntnissen bekomme ich leider nicht mit, worüber. Später erfahre ich, dass es seit Mai in dieser Region keinen Regen gegeben hätte, und aus dem Grund wäre auch das Flussbett vollständig ausgetrocknet.
Soweit ich das mitbekommen habe, war die weise Botschaft des Franz von Assisi, dass man die Schöpfung in der Natur erkennen sollte. Damit stand er im Widerspruch zur Kirchenlehre, die sich fast ausschließlich auf das Jenseits konzentrierte. Somit war er möglicherweise einer der ersten Ökos. Auf diesem Weg soll er vor acht Jahrhunderten ebenso entlang gewandert sein und zu seiner Erleuchtung gefunden haben - oder so ähnlich. Einer der Schmetterlinge hielt sogar eine Weile still, damit ich ihn fotografieren konnte. Vielleicht eine Reinkanation des Heligen.
Meine Mitpilger hatten sich entschieden, statt in dem Refugio in einer Pizzaherberge zu übernachten und ich schließe mich an. Dort treffen wir österreichische Pilger. Es gibt ein gemeinsames Abendessen mit Pizzabrot und frisch hergestellter Tagliatelle. Als alle davon fast schon satt sind, wird noch eine Riesenpizza serviert, frittierte Kartoffeln und eingelegte Tomaten. Es hätte für doppelt so viele Personen gereicht. Ich erzähle den Anderen von einem Sprichwort: es gäbe am nächsten Tag schlechtes Wetter, würde man etwas übrig lassen.. daraufhin erzählen die Österreicher von der Wettervorhersage, dass es mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit morgen Gewitter geben würde. Es wäre jedoch angenehm, wenn es ein wenig Abkühlung in der aktuellen Hitze geben würde.
Der Weg führt durch einen Nationalpark, zwischendurch treffen wir häufiger die österreichischen Pilger. Es ist ein Pärchen, beide verstehen kein Italienisch. Wenn sie sich mit Italieniern unterhalten, reagieren sie ausschließlich mit „Si, si, si..“. Interessant wäre, mitzubekommen, was ihre Gesprächspartner sagen - denn ich stelle mir den Dialog recht lustig vor. Leider fehlen mir ebenso die Sprachkenntnisse.
In einem Dorf, das aus einer Kirche und einem Wohnhaus besteht, verabschieden sich die Österreicher gerade von den zwei Einwohnern des Ortes, als ich mit den beiden italienischen Pilgern ankomme. Wir setzen uns zu den zwei Dorfbewohnern auf eine Gartenbank. Ausser einzelnen Worten bekomme ich wenig mit, später beim Aufstieg erklärt die Italienerin auf Englisch, dass die Großeltern der Beiden den Bergpass einst gegen das Regime verteidigt hätten und dieser Pfad seinerzeit eine Partisanenroute gewesen wäre.
Am höchsten Punkt wird man von einer grandiosen Aussicht belohnt. Rechts die Emilia-Romana, links die Toskana. Wir befinden uns auf dem Grat, der die beiden Regionen trennt. Einige Tagesausflügler wandern von einem nahegelegenen Waldparkplatz zu diesem Aussichtspunkt.
Es folgt ein langer Abstieg und kurz vor dem Tal erreichen wir die Einsiedelei von Camaldoli - nur wenige Minuten vor dem Start einer Führung. Es ist ein Kloster mit einer künstlerisch sehr aufwendig gestalteten Kirche, das aus dem Umland viele Ausfluggäste anlockt.
Kurz bevor wir das Refugio erreicht haben, begegnen wir zwei deutschen Pilgerinnen, die sich nach dem Weg zum Campingplatz erkundigen. Es ist weit und breit weder ein Wegweiser zum Campingplatz, noch zu dem Refugio zu finden. Da die Italienerin den Weg dorthin genau kennt, schließen sich die beiden Deutschen kurzfristig an, um ebenso in der Herberge zu bleiben.
Der Abend wird zu einem kleinen Fest, da die Eltern der Italienerin kurz zuvor noch keinen einzigen Pilger erwartet hatten. In den vergangenen Tagen hatten sie fast keine Besucher, nun überraschend fünf Gäste, darunter ihre Tochter. Bei der Gelegenheit feiern sie auch ihren Hochzeitstag ein paar Tage vor und servieren Sekt, den sie für diese Gelegenheit besorgt hatten.
Die deutschen Pilgerinnen haben Reiseführer mit dem Titel „Franziskusweg“ - der jedoch fälschlicherweise den Via Francigena beschreibt, welcher nichts mit Franziskus zu tun hat und Unterkünfte ausschließlich in Hotels empfiehlt. Wodurch die Tour deutlich teurer wird. Nach einigen Informationen von den Herbergsverwaltern freunden sie sich mit der Variante des Cammino di Assisi an.
Statt mit den zwei Italienern, die ihren Weg in Camaldoli beendet haben, starte ich heute mit den beiden deutschen Pilgerinnen. Die eine ist etwas älter, die andere eine junge Studentin- Die beiden hatten sich auf dem Weg von Florenz kennengelernt und sind seitdem zusammen unterwegs. Bei dem ziemlich anspruchsvollen Anstieg beschließt die ältere Pilgerin, ein paar überflüssige Sachen per Post nach Hause schicken zu lassen - besonders den irreführenden „Franziskusweg“ samt Karten sowie warme Kleidung. Was im nächsten Ort mit viel Geduld und ewiger Wartezeit bei mehreren Tassen Kaffee auch klappt.
Die Hauptstraße von Badia Prataglia ist reichlich geschmückt mit unzähligen Landesflaggen. Beim Warten im Café entdecke ich eine Besonderheit und frage die andere Pilgerin, ob ihr etwas auffällt. Die deutsche Flagge wäre nirgends zu sehen, meint sie. Ich hätte die gelb-rot-schwarzen Fahnen jedoch als verkehrt herum aufgehängte deutsche Fahne interpretiert.
Bannerwerbung für aktuelle Feste sind ebenso einige zu sehen. Dem Ankündigungsdatum entnehme ich, dass wir die jeweils an den letzten beiden Wochenenden stattfindenden Feste verpasst haben und wir das nächste zum Anfang September ebenso verpassen werden. Schade.
Mit 3,5 Kg weniger wird die ältere deutsche Pilgerin irgendwann so schnell, das sie bald vorausläuft und wir uns erst später in der Pilgerunterkunft wiedersehen.
Die Landschaft zeigt sich wie in einem Toskana-Reiseprospekt. Falls ich einmal einen Reiseführer über den Cammino di Assisi herausgeben sollte, wäre diese Landschaft ideal für die Titelseite.
Eidechsen sind hier so zahllos wie schnell. Selten wartet eine von ihnen etwas länger, um sich fotografieren zu lassen.
Biforco ist ein idyllischer Ort wie aus dem Bilderbuch, ebenso die Pilgerherberge. Direkt nebenan befindet sich ein kleiner Kaufmannsladen.
Die beiden Mitpilgerinnen und ich beschließen, in dem kleinen toskanischen Paradies noch einen weiteren Tag zu bleiben.
Im Dorfladen können wir uns mit den nötigen Ingredienzien zum Kochen eindecken. Die Auswahl ist recht übersichtlich, doch für das typische Pilgermenu, Pasta mit Tomatensauce, bekommt man hier die passenden Zutaten.
Die Küche bietet mehrere Varianten von Kochmöglichkeiten. Von der Feuerstelle am Kamin im mittelalterlichen Stil, über einen gusseisernen Herd, bis zum fast schon modernen Gasherd. Ein wenig wirkt die Einrichtung wie ein kleines Museum.
Der morgendliche Aufstieg durch das Grün wird zu einer Tortur durch Schwärme von Fliegen, bis man den leicht abwärts durch eine Felsenlandschaft führenden Weg endlich hinter sich gelassen hat. An der linken Seite erhebt sich bald eine hohe Felsenkante. Als ich hinaufblicke, fällt mir eine Mauer am oberen Ende auf. Bestimmt befindet sich dort eine alte Burg, die majestätisch auf dem Berggipfel thront. Der Umweg, um hinaufzuklettern, wäre es auf jeden Fall wert.
Überraschenderweise führt der Camino dort hinauf, sodass es gar kein Umweg ist. Es ist eine Klosterburg mit dem Namen „la Verna“. Diese Anlage ist riesig, fällt mir auf. Nachdem ich in einer großen Kirche das fast zerfallene Mönchsgewand des Heiligen Franziskus bewundert, zahllose Kapellen besichtigt habe, verirre ich mich bei dem Weg durch mehrere Innenhöfe und einer Art Hotelkomplex, während meine Mitpilgerinnen den Weg schon fortgesetzt haben.
Nach La Verna habe ich zunehmend Schwierigkeiten, der Wegbeschreibung zu folgen. Was vor allem daran liegt, dass diese in Italienisch ist und ich sie kaum verstehen kann. Doch auch die Wegmarkierungen lassen zu wünschen übrig.
Diese enden aprupt, plötzlich sehe ich nur noch Warnschilder. Vermintes Gelände, Warnungen vor Sprengungen oder militärisches Übungsgebiet? Eines ist sicher: ich bin hier irgendwie falsch.
Um wieder herauszufinden, orientiere ich mich per GPS. Dieses Gebiet ist eine Art Steinbruch, vermute ich. Auf dem Gelände befindet zu dieser Stunde kein Arbeiter mehr. Somit wird es auch keine Sprengungen mehr geben.
In diesem Fall erweist sich GPS per Smartphone einmal mehr als nützlich. Ich finde nicht nur auf die Straße zurück und zur Unterkunft, ich treffe zum Schluss auch die beiden anderen Pilgerinnen wieder.
Als wir morgens starten wollen, setzt Gewitter ein und es regnet in Strömen. Ich hatte unterwegs gehört, dass im August wegen der Hitze kaum Pilger auf dem Weg wären und der September am beliebtesten wäre, da es dann kühler würde. Überraschend ist, dass das Wetter sich so genau an das Datum gehalten hat und die Abkühlung exakt am ersten Tag des Monats eintrifft.
In San Sepulcro befinden wir uns nun in Umbrien. Vorher hatte der Weg über die Bergkämme an der Grenze zwischen den Regionen Emilia-Romana und Toskana entlang geführt.
Das Refugio in San Sepulcro ist ein Kloster, in dem schon die Inneneinrichtung außergewöhnlich ist. Der Blick aus dem Fenster auf den Glockenturm ist einmalig.
Es ist Samstag Abend. Vom Garten der Herberge haben wir einen Blick auf ein Schützenfest direkt unterhalb der Klostermauern. Dort üben sich Armbrustschützen an der altertümlichen Waffe, was regelmäßig an einem dumpfen Aufschlag eines Bolzens zu hören ist.
So viele Menschen, wie hier abends unterwegs sind, habe ich auf dem ganzen Pilgerweg bisher nicht gesehen. Es ist überraschend, sich nach Tagen in tiefster Provinz plötzlich wieder in der Zivilisation zu befinden.