Auf dem Camino del Norte / Camino de la Costa II
Von Islares durch Kantabrien
1: Baskenland
2: Kantabrien
3: Asturien Teil 1
4: Asturien Teil 2
5: Galicien
In Kantabrien bekomme ich den Eindruck, erst jetzt in Spanien angekommen zu sein. An jeder Ecke, in vielen Gärten weht die rot-gelbe Spanische Flagge. Die war im Baskenland fast nirgends zu sehen, dafür überall die grün-rot-weiße Flagge der Basken. Die Bewohner dieser beiden Nachbarregionen sind politisch wohl ganz anderer Meinung.
In Laredo erreiche ich bald den Strand. Es gibt zwar eine sehenswerte Altstadt, aber das eigentliche Grandiose sind mehr als 4 Kilometer Sandstrand, an dem ich weiter wandere. Feiner, weißer, fast endloser Strand. Bis der an einer Bucht endet und ich die nächste Stadt des Camino auf der gegenüberliegen Seite sehe. Dorthin schwimmen ist mit Rucksack nicht möglich. Und meine kurze Wegbeschreibung erklärt, die nächste Stadt wäre 10 km zu Fuß entfernt, aber man könnte mit dem Boot fahren. Nur ist weit und breit weder ein Anlegesteg, noch ein Boot zu sehen und ich laufe die Umgebung ab - auf der Suche nach einer Fähre, die mich auf die andere Seite übersetzen könnte. Nach einiger Zeit und längerem umherirren erfahre ich, eine kleine Personenfähre würde direkt am Strand anlegen. Tatsächlich, ein kleines Boot - dass nach einem umfunktionierten Fischerboot aussieht - erscheint nach einiger Zeit, legt an und eine Leiter wird ausgefahren, über die man das Schiff betreten kann. Aus Bordlautsprechern erschallt das bekannte Lied „Vamos a la Playa“. Ich komme mir fast vor wie im Urlaub. Wenn da nicht die Suche nach der Unterkunft wäre. Nach der Ankunft in Santoña und dem Durchqueren dieser Stadt wandere ich abermals einige Kilometer an Sandstrand entlang, an dessen Ende sich ein „Hostal“ befindet. Ich frage nach, was ein Bett im Schlafsaal kosten würde. Und bekomme als Antwort: 48 Euro. Das kann nicht sein, denke ich, üblich sind 5-12 Euro, aber bekomme den Preis nochmal bestätigt. Frechheit. Ab dem Zeitpunkt ist es mir egal. Da schlafe ich lieber am Strand. Und mache erst eine Pause bei Bier und Tortilla. Es ist fast Abends, dann gehe ich weiter - der Camino führt über einen Berg und danach liegt ein noch viel schönerer und viel ausgedehnterer Strand vor mir - der Camino del Norte führt hier direkt am Meer entlang durch den Stand. Mindestens endlose 5 Kilometer.
Kurz vor der Stadt Noja gibt es noch eine private Herberge. Ich frage nach Platz - es sind aber alle Betten ausgebucht.
Zufällig sehe ich auf dem Weg zurück zum Strand noch ein paar Podeste mit Raubvögeln - Greifvögel und Eulen: eine Flugshow wird vorbereitet. Ich suche mir einen Platz im Srand, bald beginnt auch die Vorführung mit martialischer Musik - Adler, Geier und viele andere Vogelarten fliegen über die Zuschauer hinweg. Dem artistischen Flug dieser riesigen Vögel zuzuschauen ist ein außerordentlich spannendes Abendprogramm. Für mich als Überraschungsevent. Später suche ich mir einen Platz in den Dünen. Es beginnt leicht zu nieseln - der Jugendherbergs-Schlafsack und das Strandtuch habe ich nur, zum Wärmen - wenig geeignet gegen die nächtliche Kühle. Und die vielen Mücken stören noch mehr als der nächtliche Traktor, der regelmäßig mit grellem Scheinwerferlicht laut brummend vorbeifährt und den Strand reinigt. Jedoch würde ich diesen äußerst abwechslungsreichen Tag niemals gegen eine komfortable Unterkunft tauschen wollen. Nach insgesamt mehr als zehn Kilometer Strandwanderung, dem Abendprogramm und diesen sehr spannenden Erlebnissen.
Bei Sonnenaufgang starte ich auf die weitere Wanderung. Einerseits, um mich nach der Nacht am Strand aufzuwärmen. Andererseits, um zu vermeiden, dass mich jemand doch noch in den Dünen entdeckt und dumme Fragen stellt.
Der Weg führt heute durch idyllische Bergdörfer, vorbei an Kuhweiden. Aus einer krabbelt mir ein Lebewesen entgegen, das ich bisher nur im Museum gesehen hatte - aber nicht lebendig, sondern auf einer Nadel aufgespießt. Ein Hirschhornkäfer! Dieses Insekt ist wahrhaft riesig, ich beschäftige mich ausführlich mit ihm und nehme einige Fotos auf. Danach lasse ich ihn weiter ziehen. Denn - so denke ich - auch er ist auf seine Art ein Pilger.
Der Weg führt abwärts, ich ereiche eine Steilküste. Darunter befindet sich der Strand. Weiter führt der Camino direkt an der Steilküste entlang, die ist senkrecht, vermutlich mehr als 100 Meter hoch. Der Weg ist gerade mal einen Meter vom Abriss entfernt, es gibt kein Geländer. Und direkt darunter, sehe ich, befindet sich ein FKK-Stand. Unter den Umständen ist das der gefährlichste Camino, den ich mir vorstellen kann. Dennoch ist der weitere Weg entlang des Kliffs durch Naturschutzgebiet ist außergewöhnlich schön, bald komme ich auf den Strand, auf meiner linken Seite erheben sich turmhohe Dünen. Am dem wandere ich kilometerweit, bis zu dessen Ende. Die Wegmarkierung weist zum Fährhafen von Somo, dort bringt eine Fähre mich zur anderen Seite, nach Santander.
Am Vortag hatte ich überlegt, noch einen weiteren Tag in Santander zu übernachten, nochmal zurück mit der Fähre auf die andere Seite zu fahren und einen Tag Strandurlaub zu machen, die Kliffs abermals entlang zu wandern.. Aber das ist beim Pilgerleben nicht vorgesehen. Die Hospitalera, erklärt mir auf die entsprechende Nachfrage, eine weitere Übernachtung wäre nicht zulässig. Daher plane ich um, besichtige am Vormittag die Parks und Strände in Santander, wandere danach eine kürzere Etappe. Das Dorf, in dem sich die nächste Herberge befindet, wirkt wie eine Geisterstadt, ein ehemaliges kommerzielles Zentrum, ist mit Holzbrettern vernagelt. Es gibt weder Café noch Restaurant. Kurzentschlossen wandere ich weiter - in Boo de Piélagos gibt es einen Supermarkt. Und die Herberge hat sogar einen Balkon.
Der nächste Ort befindet sich nur 500 Meter entfernt. Der Haken ist, es befindet sich ein Fluss zwischen beiden Orten und der offizielle Camino zu Fuß führt über eine weit entfernte Fußgängerbrücke. In meiner ausgedruckten Liste befindet sich aber ein interessanter Hinweis: 8 Kilometer kann man abkürzen. Die erste Variante ist, man fährt mit dem Zug bis zur nächsten Bahnstation. Eine zweite Möglichkeit ist, man überquert die Bahnbrücke zu Fuß. Der Zug jedoch fährt relativ häufig darüber, man muss vorsichtig sein. Bei der Herberge sind daher die Fahrpläne für die Bahn ausgelegt. Damit man weiß, wann keine Bahn fährt. Als ich morgens die Bahnbrücke erreiche, fährt gerade ein Zug aus der entgegenkommenden Richtung - der laut hupt, als er mich sieht. Nur eine Minute später fährt ein Zug in der anderen Richtung. Das ist genau das Zeitfenster, das ich brauche: denn in den nächsten Minuten wird keine Bahn mehr kommen. Ich beeile mich und nutze den sicheren Moment, um die Brücke zu überqueren.
Santillana del Mar - die Stadt, in der ich diese Etappe beende - ist eine von Touristen überlaufene Stätte. Die Kirche mit Kloster kostet zwar Eintritt, ist diesen aber auf den zweiten Blick wert. Der Kreuzgang des Klosters ist mit Säulen umrundet, deren Kapitelle aus Sandstein geschnitzte Legenden abbilden - jede ist individuell und aufwendig gestaltet und erzählt ihre eigene Geschichte.
Frühzeitig begebe ich mich in einen Innenhof, um einen Platz in der Herberge zu bekommen, die eine Stunde später öffnen wird. Außer mir warten dort erst zwei andere Pilger - die meisten werden bis zur Öffnungszeit noch die Stadt besichtigen, vermute ich. Um 16 Uhr taucht der Hospitalero bei uns auf und erklärt, wir würden vor dem falschen Gebäude warten. Er führt uns zu einem anderen Innenhof. Aha! - denke ich dort - hier sind also all die Anderen, als ich mehr als 20 Pilger dort sitzen und warten sehe. Es gibt jedoch nur Platz für 15 Personen. Glücklicherweise gibt es noch eine Alternative. Also: auf zum Campingplatz! - dort gibt es Bungalows. Letztendlich war es die bessere Alternative, es ist gemütlicher als die Herberge, es sind eher alternative Pilger dort - Spanier -, ungefähr in meinem Älter und ziemlich cool. Der eine ist die meiste Zeit mit kiffen beschäftigt, der andere, mit langen Haaren, ist Heavy-Metal-Fan. Santiago, stellt er sich mit Namen vor.
Wie häufig auf dem Camino del Norte führt der Weg vom Meer ins Gebirge, um eine Landzunge zu überqueren und endet wieder am Meer. Unterwegs begegne ich einer Deutsch-Französin, die beim Reisebüro ein Camino-All-Inclusive-Paket gebucht hat: die Hotels sind alle im Voraus gebucht und ihr Koffer wird von Ort zu Ort mit dem Taxi transportiert. Dadurch trägt sie einen sehr leichten Rucksack. Aber verpasst das typische Pilgerleben, leider..
Die Etappe wandern wir zusammen, treffen unterwegs den kiffenden Spanier. Am Ende verabschiede ich mich, melde mich in der Pilgerherberge an und bekomme - abermals - das letzte verfügbare Bett.
Der Friedhof ist in dieser Siedlung die größte Touristenattraktion und wird daher nachts beleuchtet. Das interessante daran ist die künstlerische Gestaltung - es ist eine Kirchenruine, auf deren Mauern einige Skulpturen aus weißen Marmor hervorragen, die vor allem Engel darstellen.
Auf der Hälfte des Weges erreiche ich einen mittelalterlichen Turm, in dem eine Ausstellung zum Thema Widerstand gegen dass Franco-Regime aufgebaut ist. Diese abgelegene Region war eine der letzten, in der sich noch Rebellen gegen die Diktatur wehren konnten, bis der Aufstand letztendlich niedergeschlagen wurde.
Zum Schluss der Etappe begegne ich noch drei Pilgern aus Leipzig. Zusammen wandern wir bis Colombres. Jedoch ist der Ort eher uninteressant. Und der nächste, La Franca, würde am Meer liegen und dort gibt es einen Campingplatz. Dieser ist jedoch komplett belegt - erfahren wir von einem freundlichen Spanier, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Pilgern zu helfen. Während wir in seinem Garten gemütlich Pause machen, reserviert er in Buelna Platz für vier Personen in der Herberge. Diese ist sehr neu und wird daher in keinem Pilgerführer erwähnt. Sehr gemütlich mit Bar, Terrasse, Gemeinschaftsraum und Balkon.
Die Stadt Unquera auf dieser Etappe ist die letzte Siedlung in Kantabrien, danach beginnt die Autonomieregion Asturien.